Ansprache zur Johannifeier am 27.Dezember 2024 im
Ort: Euchore-Saal, Dorneckstr.6, Dornach
Liebe Freunde, Ihr kennt das Wort von Johannes dem Täufer "Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen." (Joh. 3.30) - Wir lesen es im Evangelium des Evangelisten Johannes, dessen Gedenktag die Westkirchen am heutigen Tag begehen. Des Täufers gedenken die Christen bekanntlich im Hochsommer. Die Prophezeiung, dass Jesus von Nazareth wachsen werde, erfolgte bei der Taufe Jesu, als der Täufer auf jener Kiesinsel im Jordanfluss bei Jericho stand. Was er damit meine, erläuterte der Täufer nach einem Wort im Lukas Evange-lium selber:
« Ich zwar taufe euch mit Wasser; es kommt aber, der stärker ist als ich, dessen ich nicht würdig bin, ihm die Riemen seiner Sandalen zu lösen; er wird euch mit Heiligem Geist und Feuer taufen » (Luk. 3.16).
Die Wassertaufe entriss diejenigen Täuflinge, die dazu vorbereitet waren, vom verstandesgefertigt materialistischen Sinnesbild der Welt, während sie unter den Wasserspiegel gedrückt wurden. - Der durch den Taufvorgang gelockerte ätherische Leib stiess den Astralleib an, sich zu weiten und damit zu beginnen, mit der geistigen Welt zu verfliessen. Damit war die Taufe auch eine Nahtoderfahrung und die dabei gemachte Erfahrung, dass es eine höhere Welt gibt, die mit der Sinneswelt auch dann verbunden ist, wenn sie nicht wahrgenom-men wird, verblieb dem Täufling für sein ganzes späteres Leben.
Den Unterschied zwischen der Johannes- und der Christustaufe verstehen wir am besten durch die Anthroposophie Rudolf Steiners. Die Wassertaufe war eine zeremonielle Reminiszenz an den Zustand des menschlichen Bewusstseins, der in vorhistorischen Zeiten - etwa auf dem Kontinent der alten Atlantis oder im uralten Indien - die allgemein herrschende war. - Geistige Kräfte und Wesenheiten erfüllten
und lenkten die Tagesverrichtungen wie die Nachterlebnisse der Menschen und wurden von ihnen in einem traumähnlichen Zustand mitempfunden. Es ist dieser Zustand, der in den Vorgängen in den antiken Mysterien über Jahrtausende - so lange es möglich war - reanimiert wurde.
Die Entflechtung des Zusammenhanges zwischen dem Sinnenbewusst-sein und den Wesen und Prozessen der geistigen Welt war die Voraus-setzung für die Entstehung des Ich-Bewusstseins. Die Zukunft des Ichs hängt nun ganz an dem individuellen Verhältnis zu der Tat des Erlösers. Birgt sie doch den Auferstehungskeim für die sinnengebun-dene Persönlichkeit. - Jesus Christus hat den Tod nicht für sich selbst
besiegt. Die Umkehr der Entwicklung, die das von allen anderen Wesen getrennte subjektive Bewusstsein entstehen liess, kann für alle Menschen zur Erfahrung werden, die das geistige Geschehen auf Golgatha verstehen.
Wie wir hörten, spricht das Evangelium von der Christustaufe als von einer doppelten. Die Taufe mit dem heiligen Geist und diejenige mit Feuer ist nicht dieselbe. Verständlich wird der Unterschied auf dem Hintergrund der beiden Teile der Freiheitsphilosophie Rudolf Steiners. Dies zunächst als Hinweis.
Im Johannevangelium bleibt die Geistfeuertaufe unerwähnt. In ihm findet sich ein anderer Unterschied angesprochen. Im vierten Kapitel bittet Jesus, der erschöpft am Brunnen des Jakobs im Norden Samarias rastet, eine Frau um Wasser. Im Verlauf des Gesprächs sagt er zu Samariterin:
« Wenn du mich erkennen würdest, würdest du mich um Wasser bitten.» Sie: «Wie willst du mir Wasser geben, da du doch keine Schöpfgeräte hast, die für diesen Brunnen nötig sind? » -
Er, nun nach dem Wortlaut von Johannes:
« Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt. »
Das fehlende Verständnis für dasjenige, was abnehmen soll, und für die Bedeutung des Aufrufs des Täufers "Ändert Euren Sinn", tritt mir leider an vielen Orten innerhalb der anthroposophischen Bewegung entgegen. - Da werden chronologisch Berech-nungen geistiger Hilfetaten angestellt, von erhofften Geburten von Eingeweihten wie auch von widersacherischen Verkörperungen ist vielfach die Rede.
Im Bannkreis frommer Phantasmagorien finden im Glauben auf das Eingreifen göttlicher Wesen an "Kraftorten" und in "geistigen Gralstempeln" Versammlungen statt. - Es bilden sich Vereinigungen um geistige Führer, die ihre Anhänger mit imaginierten, gechannelten oder ausgedachten Mitteilungen und Direktiven aus der geistigen Welt
versorgen. Oft sind es allein die zugelassenen Gerüchte, welche dieselbe Bewusstseinstrübung nach sich ziehen.
Die von Rudolf Steiner begründete Freie Hochschule für Geisteswissen-schaft, die von den Mitgliedern der anthroposophischen Gesellschaft aus freier Erkenntnis unter-stützt wurde, hat sich im Verlauf der Jahrzehn-te aufgelöst oder ist in verschiedene Gemeinschaften zerfallen, die sich der Pflege der Aufzeichnungen des von Rudolf Steiner geführten Lehrganges unter der Leitung einer lokal erprobten Autorität angenom-men haben.
Dabei erschwert das mangelhaft unternommene Studium der methodi-schen Grundlagen der modernen Geisteswissenschaft dasjenige, was in jenen Kreisen oft angesprochen, ja gefordert wird, nämlich das Erwachen der individuellen Seele am Geistig-Seelischen des anderen Menschen. Doch wir sollten erkennen, warum ein bloss erfühltes oder gar nur propagiertes "Wir" keinen Boden für die Erkenntnis des Du bilden kann.
Rudolf Steiner hat in seinem letzten Jahr an einzelnen Orten als von einem in Zukunft zu entwickelnden "umgekehrten Kultus" gesprochen, wodurch die Verbindung mit dem michaelischen Impuls erhalten oder hergestellt werden könne. Er beschrieb ihn als auf dem Wesensaus-tausch in der Du-Erkenntnis und damit auf der Karma-Erkenntnis fussend.
Novalis notierte dazu das folgende:
» Noch ist keine Religion - Man muss eine Bildungsloge ächter Religion erst stiften. Glaubt ihr - dass es Religion gebe? Religion muss gemacht und hervorgebracht werden - durch die Vereinigung mehrerer Menschen. «
In den letzten Tagen habe ich oft an den bereits 34-jährig ver-storbenen deutschen Philosophen Paul Asmus denken müssen, der in der Kantstadt Königsberg, heute dem russischen Kaliningrad, geboren und gestorben ist. - In seiner hell leuchtenden Schrift "Das Ich und das Ding an sich" aus dem Jahr 1873, die Rudolf Steiner mit grosser Anerkennung in Vorträgen wie auch in seiner Philosophiegeschichte erwähnt, findet sich die weise Feststellung wie auch ihre Begründung:
« Das Ich hat seine Identität in sich, doch sein Sein im andern.»
Herbert Witzenmann hat uns das "Du bist-Erlebnis" erkenntniswissen-schaftlich als Ergebnis seiner Untersuchung im letzten Kapitel der
"Voraussetzungslosigkeit der Anthroposophie" erschlossen:
« Im vollerfüllten persönlichen Du schliessen sich als einem gleichzeitigen Ich und Wir die beiden Ströme zusammen, durch deren Gabelung und Wiedervereinigung die Schöpfungswirk-lichkeit in die Freiheitswirklichkeit übergehen kann. Im Wort "Du bist" bilden daher die Worte "Es ist", "Ich bin" und "Wir sind" die Laute, deren Akkord den wahren Namen des Menschen ertönen lässt. »
Wenn man Witzenmanns Ausführungen in seinem Werk nachvollzieht, versteht man, warum die "Philosophie der Freiheit" Rudolf Steiners, die uns zum Verständnis des ethischen Individualismus führt, ebenso die Lösung der Gemeinschaftsfrage als der sozialästhetischen Grundfrage enthält. - Gerade heute, wo die Lösung der anthroposophischen Gesellschaftsfrage von vielen namhaften Anthroposophen, etwa auch unter dem Eindruck der historischen Analyse der hundertjährigen Gesellschaftsgeschichte von Lorenzo Ravagli stehend, inzwischen als unlösbar erachtet wird.
Die früheren Gesellschafsorgane, die "Zweige" der Gesellschaft genannt wurden, haben sich heute, da der Baum, woran sie hängen sollen, unsichtbar geworden ist, vielerorts in mehr oder weniger in sich geschlossene, disparate Initiativen, ja auch sektenähnliche
Vereinigungen verwandelt, während in den Ursprungsländern Europas die meist überalteten Zweige der Vereinsanthroposophie durch die Organisation, doch recht kraftlos fortleben. Darin offenbart sich eine allgemeine Orientierungslosigkeit, welche die Kraft des guten Hirten, des "Ich bin", weitgehend ungenutzt lässt. - Sie ist es jedoch, die
Johannes zufolge zunehmen soll.
Meine einleitende Betrachtung abschliessend, wollen wir von den sieben vom Evangelisten Johannes überlieferten Ich-Bin-Worten des Jesus Christus das dritte und das vierte vor die Seele stellen (bitte lest das ganze 10.Kapitel des Johannes-Evanglium und entschuldigt die Auslassungen in den folgenden Zitaten). Zunächst bringt Jesus
seinen Zuhörern ein Gleichnis vor:
« Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Räuber. Der aber zur Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe...»
Dann heisst es, dass die Zuhörer nicht verstanden, was Jesus damit meinte. Ihr Verstand haftete an der untersten Schicht der Mitteilung, die ihnen aus ihrem Sinnesalltag allzu selbstverständlich erschien, als man damit eine höhere Botschaft verbinden könnte, weshalb Jesus seine Rede mit den folgenden Worten fortgesetzt hat:
« Da sprach Jesus wieder: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen .. Der zur Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe .. Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, .. Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich’s wieder empfange. Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu empfangen. Dies Gebot habe ich empfangen von meinem Vater .. »
Für uns Anthroposophen bildet das Studium der modernen, auf seelischer Beobachtung ruhenden Erkenntniswissenschaft, womit Rudolf Steiner eine neue Bewusstseinsepoche angestossen hat, die Türe zu den guten Weiden, zu der Erfahrung der Weltgedanken des
heiligen Geistes. - Damit bereiten wir uns auf die Feuertaufe vor. Sie besteht in der Überwindung der Erkenntnisgrenze, die vom "Hüter der Schwelle" aufgerichtet wurde und welche die Entdeckung der "guten Weiden" verhindert, auf denen stoffbefreit die Seele die andere findet.
Jene Erkenntnisgrenzen liegen nicht etwa im Äusseren, wo Urknall- und andere kosmologische Weltentstehungshypothesen sich in der Unwirklichkeit eines abstrakten, geistblinden Physikalismus ablösen.
Die Erkenntnisgrenzen, die es zu überwinden gilt, liegen im Inneren, in der schmerzhaften Erlösung des in der Vergangenheit individuell gebildeten Schatten- und Doppelgängerwesens. Ihre Überwindung geht mit der Erkenntnis des im Mittelpunkt der irdischen Menschheits-entwicklung stehenden Geschehens auf dem Golgatha-Hügel einher. Hierin ist uns die Johannes-Individualität, an die wir heute Anlass des Erinnerns haben, das grösste Vorbild. Er wird die anthroposophische Bewegung der Zukunft mit tatbereiter Liebe begleiten, worauf in seiner letzten Ansprache Ende September des
Jahres 1924 Rudolf Steiner hingewiesen hat (so sei es).
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